Ein Essay von Manfred Klimek

Der Wiener Donauturm wurde komplett saniert und von den neuen Eigentümern letztes Jahr neu eröffnet. Zeit, mal wieder hochzufahren. Und sich zu erinnern, wofür er stand und steht.

 

Es ist etwas Persönliches. Zwischen ihm und mir. Er ist die Nadel und ich sein Faden. Sein Faden durch die Zeit. Der Donauturm ist so alt wie ich. Ich wuchs in einem Gemeindebau auf, am Mexiko­platz in der Leopoldstadt am anderen Donau­ufer, von dem ich ihn jeden Tag von meinem Kinderzimmer aus sehen konnte. Wir wohnten im neunten und letzten Stock. Das war hoch. Doch er war höher.

Jahrelang wurde die freie Sicht auf das damals höchste Gebäude der Stadt durch die Hängebrückenkonstruktion der Reichsbrücke gestört. Doch dann kam der 1. August 1976, die Reichsbrücke fiel in sich zusammen und war weg. Danach – schon pubertierend – konnte ich ihn endlich vom Fenster aus auch in seiner vollen Länge sehen. Wie er da so alleine dastand, auf dem Feld der Wiener Internationalen Gartenschau, eine Anlage, die bei Spaziergängen gerade wieder in Mode kommt.

© Konstantin Reyer

Bald sechzig Jahre steht er schon da. Und hat sich gut gehalten. Elegant war er immer schon, vor ­allem deswegen, weil er nach oben hin schmäler wird, was auf den ersten Eindruck hin verwegen und auch ein bisschen gefährlich aussieht. Ich fragte mich als Kind sehr oft: „Hält denn dieser schmale Spitz den großen, klobigen, runden Aufbau, der auf ihm thront?“ Dieser Aufbau, die Aussichtsplattform, das Café und das Restaurant (auf 160 bis 170 Meter Höhe), wirken auch heute noch wie ein balancierender Künstler, doch die Statiker der Nachkriegsjahre wussten genau, was sie taten: Außer Bungee-Jumper fiel nichts je von oben runter.

© Donauturm

Der Donauturm war bei seiner Eröffnung im April 1964 ein Zeichen des Aufbruchs. Und ein Signal, dass das kleine Alpenland mit seiner viel zu großen Hauptstadt, nach einer eher unglücklichen Ersten Republik, nun, in der noch keine zwanzig Jahre alten Zweiten Republik, eine technische, architektonische, kreative, attraktive und menschenfreundliche Meisterleistung hinstellen konnte. Zudem – damals total neu und unüblich – nicht nur von kommunaler, sondern vor allem von privater Hand initiiert und gebaut. Der Donauturm sollte nicht nur die Gemeinde und das Land repräsentieren, er sollte vor allem ein Beispiel sein, dass Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Österreich eine gestaltende Rolle spielen können. Diese sehr wichtige Idee, dieser Ansporn ist heute in Vergessenheit geraten. Man sollte sich seiner erinnern, wenn man in einen der Aufzüge nach oben steigt.

Das Nach-oben-Fahren war und bleibt für mich eine Herausforderung, denn ich habe Höhenangst. Damit bin ich sicher nicht alleine und so war (und ist) der Donauturm für Höhenängstliche ein Geschenk, weil er eine bezwingbare Herausforderung darstellt. Man steht adrenalingeschwängert auf der überhängenden Aussichtsplattform und denkt: „Toll, ich kann das, ich hab’s geschafft.“ Nach einer Weile jedoch flüchtet man sich gerne in die Mitte des Turms, die nicht überhängt, sondern an die Spitze der Nadel betoniert ist. Aber auch das ist ein Trugschluss.

Denn das Café und das Restaurant des Donau­turms drehen sich in 26 Minuten einmal um die eigene Achse und bieten dem Sitzenden bei Essen und Trinken einen Blick um Wien, wie man ihn nirgendwo bekommt und auch nirgendwo anders je bekommen wird. Schlicht gesagt: Das ist schlicht großartig.

Die neuen Eigentümer des attraktivsten Wahrzeichens der Stadt haben das Restaurant und das Café von einem bekannten und design­erfahrenen Architekten innen neu gestalten lassen, der das Wesentlichste gut fertigbrachte: die Vergangenheit in der Gegenwart nicht untergehen zu lassen. Zudem hatte er auch wenig Wahl, denn vieles hier steht unter Denkmalschutz, etwa das Stiegengeländer der schön geschwungenen Stiegen. Das Restaurant ­zudem wurde qualitativ massiv aufgewertet und man kriegt nun kein bloßes Touristenessen wie früher hingestellt, sondern kontemporäre Küche, die die Auffahrt auch für Gourmets erstrebenswert macht. Eine kleine Kritik darf sein: An der Weinkarte könnte man noch feilen.

Nicht unwesentlich aber ist der Bereich unter dem Turm, der jahrzehntelang eher vernachlässigt wurde. Hier haben die Eigentümer ein hervorragend gestaltetes, modernes Bierlokal hingestellt, für das eine namhafte, kleine Brauerei ein eigenes Turmbier braut, das so süffig ist, dass man das eigene Auto stehen lassen ­sollte, wenn man die Einkehr beabsichtigt. Dieser neue Treffpunkt (hier ist auch das breit angelegte Souvenirshop) soll ein Portal zum Turm sein, aber auch – und vielleicht vor allem – ein Vergnügungsort, der für sich alleine stehen kann – und nicht im Schatten des Turms.

Aussichtsplattform, Café und Restaurant logieren im zweiten Höhendrittel des Turms, der sich dann noch bis 252 Meter hin hochstreckt. Dorthin führen für Wartungsarbeiten jedoch nur schmale Leitern, die ab einer gewissen Höhe zu einem außen angebrachten Steig führen, auf dem man ganz auf die Spitze gelangt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich in meiner Kindheit mit dem Fernglas die Wartungstechniker beobachtete, die da, ganz oben, herumbalancierten.

Auch heute noch kommen mir beim Schreiben und Erinnern aufgeregte Schauer. Der Donauturm ist und bleibt ein spannendes Gebäude, das allen Zeiten und Moden trotzt. Er wird ­Nadel sein, wenn ich längst den Faden verloren habe.

 

Alle Bilder © Manfred Klimek (sofern nicht anders angegeben).