„Du sollst zu Deinen Gästen lieb sein“, sagt Peter Friese. Denn die Welt da draußen ist nicht lieb zu den Leuten. Und deshalb hat der Besitzer des altehrwürdigen Lokals sein Kameel vor drei Jahren umgebaut. Nämlich zu einem echten Wiener Weltlokal. „Danke, ganz lieb“, sagt dazu Manfred Klimek in seinem Essay. 

Auf einmal war alles anders hier. Hier, wo man über Jahre ein und aus ging. Und weiter ein und aus gehen wird. Hier im Schwarzen Kameel. Hier in Wien. Kameel mit zwei e bitte! Nein, das ist kein Schreibfehler, das ist Marke, starke Marke für starke Gastronomie. Und das seit bald 400 Jahren. Jede Menge Historie. In Sachen Essen und Trinken.

Peter Friese, der Gastgeber des Schwarzen Kameel, hatte und hat auch weiterhin eine Riesenfreude an seinem Umbau. Das Foto entstand kurz danach, in aller Herrgottsfrühe und vor dem Eintreffen der ersten Gäste.

Das Schwarze Kameel ist ein alt- ehrwürdiges Restaurant in Wien, eigentlich „das“ altehrwürdige Restaurant dieser Stadt schlechthin, die auf Alter und Würde setzt wie kaum eine andere europäische Metropole dieser Größe. Der Name Kameel steht für Räumlichkeiten, die schon zu Zeiten Maria Theresias legendär waren – damals, als Wien noch hinter jener Stadtmauer lag, die der Ringstraße weichen musste.

Das Schwarze Kameel stellt die traditionellste Lokalfront in dem zuletzt völlig neu gestalteten „Goldenen Quartier“ dar und das, was man guten Gewissens eine Botschaft der Alt-Wiener Kulinarik nennen darf.

Das „neue“ Kameel, das erste international orientierte Kameel, entstand 1902, als das Haus zwischen Graben und Hof, in dem das Kameel heute wohnt, fertiggestellt wurde. Damals mussten Dutzende alte Häuser der Innenstadt neuen Gründerzeitbauten weichen, denn die Flaniermeile Graben sollte bis zur Freyung hin ausgedehnt werden. Wie es so oft in Wien geschieht, wurden die Pläne aber plötzlich ad acta gelegt. Und so stehen genau hinter dem Schwarzen Kameel, in der Naglergasse, noch heute die Gebäudezeilen des späten Mittelalters.

Das Kameel residiert zwischen alter und neuer Welt. Im alten Wien. Peter Friese ist ein Mensch, den man ausreichend mit dem neumodischen Wort tiefenentspannt beschreiben kann. Er denkt nach, bevor er antwortet, und seine leise Stimme verlangt dem Gegenüber einige Konzentration ab. Die Belohnung dafür: kein Geschwafel, keine Prahlerei, kein falsches Wort – Bürgertum, wie man es heute nur noch selten findet; ein Bürgertum, das angenehm und bereichernd sein will.

  

Eine Wiener Institution ist das Kameel seit nunmehr fast 400 Jahren. Den besten Beinschinken der Stadt gibt’s hier seit ewig. In den letzten 15 Jahren hat Peter Friese daraus ein kulinarisches Gesamtkunstwerk von Weltrang gemacht.

Der Umbau eines Lokals ist eigentlich kein großes Ding. War es auch anno 2017 beim Kameel nicht. Doch der Umbau eines solchen Paradeplatzes ist dann doch eine Angelegenheit des Inneren. Vor allem in einer Stadt, in der das Gerücht Geschichte schreibt. Und das Gerücht hieß, Friese baue das Kameel brutal in die gastronomische Moderne um. Und dass das nicht jedem gefallen würde. Das Absurde: Im sonst oft so drängend konservativen Wien fand Frieses Umbau Gefallen. Großen Gefallen sogar!

Es war eine Neugestaltung, die nur wenige Quadratmeter so belassen hat, wie sie seit 1902 waren. Genauer gesagt nur die Nische beim Eingang zur Küche, den großen Stehtisch, der in eine Weinhalle passen würde, die Brötchen-Theke und jenen kleinen Raum des alten Speisezimmers, der vier Stufen über dem Niveau des restlichen Raums liegt. Zu diesem Speisezimmer muss gesagt werden, dass es zu den schönsten Speisezimmern der Welt zählt. Art déco in Reinkultur: alte Lobmeyr-Lüster, Nischen mit Edelholztäfelung und zur Decke hin goldfarbener Stuck. Dieses Speisezimmer wurde halbiert und damit seiner Gesamtheit, seiner Geschlossenheit beraubt. Man kann sagen: Es wurde zerstört. Doch man muss sagen: Gut so!

  

Familiensaga

Peter Frieses Familie besitzt das Kameel seit Kriegsende, als die Vorbesitzer, die alte Handelsfamilie Stiebitz, den Ruhestand suchten und das Kameel gegen Leibrente an Frieses Eltern vergaben. Seither ist am Kameel das eine oder andere erneuert oder verändert worden. Aber noch nie das Lokal selbst. Peter Friese ist ein guter Patron, wie man ihn in der Gastronomie selten findet. Das mag wie ein Satz aus einer Werbebroschüre klingen, doch trotz seiner Plattheit stimmt jedes Wort, denn Friese hält im Kameel zwei Ausrichtungen hoch, die kaum noch zu finden sind.

Die erste Ausrichtung des Kameel ist es, ein Ort zu sein, an dem man ankommt und Pause macht; ein Ort zum Aussteigen. „Im Kameel“, sagt Friese, „soll eine angenehme Stimmung herrschen. Und das nicht nur bei den Gästen, sondern auch beim Personal, das sich wohlfühlen muss und gerne hier arbeiten soll. Diese Stimmung springt dann auch auf den Gast über.“ Die zweite Ausrichtung ist das, was Friese „Égalité“ nennt, ein eigentlich politischer Begriff aus der Französischen Revolution. „Im Kameel“, erklärt Friese weiter, „treffen sich jeden Tag verschiedene Schichten der Bevölkerung. Die Verkäuferin der Modeboutique genauso wie die Direktorin des umliegenden Handelsbetriebs.“ Es kommt nicht von ungefähr, dass Friese die Beispiele hier weiblich besetzt. „Bei uns“, fährt Friese fort, „kann man drei belegte Brote essen, dazu ein Glas Wein trinken und muss dafür nur knapp unter zehn Euro hinlegen. Und diese zehn Euro hat so gut wie jeder in der Tasche.“

  

Umgangsbildend: Das gilt auch für die Politiker unterschiedlicher Couleurs, die sich im Parlament oder anderen demokratischen Institutionen heftig streiten, im Kameel aber bei einem, zwei oder drei Achterln Wein friedlich zusammenstehen. Und dieses Zusammenkommen kann an manchen Tagen, wenn es im Kameel sehr voll wird, ein sehr dichtes Zusammenstehen sein – auf Tuchfühlung eben.

Eine Institution entsteht, wenn die Menschen in dieser einen Wert erkennen und sie zur Konsumation und Bewahrung dieses Wertes aufsuchen. Eine Institution ist selten laut. Aber zu leise soll es in ihr auch nicht zugehen.

 

© Peter Rigaud. Manfred Klimek.