Text: Klaus Peter Vollmann

Hier wurden schon für Kaiser Franz Joseph die Schuhe maßgefertigt: Das Traditionshaus Scheer feierte vor vier Jahren 200. Geburtstag. Und ist erstaunlich jung.

Schuster, bleib bei deinem Leisten.

Dieses auf eine antike Anekdote zurückgehende Sprichwort trifft auf Markus Scheer exakt zu. Denn der Schuhmacher, der das 2011 von seinem Großvater übernommene Geschäft in siebenter Generation führt, ist derjenige, der die Füße der Neukunden vermisst und schließlich auch selbst den Leisten schnitzt. „Ich versuche, den Fuß, der komplex, kompliziert und individuell ist, in seiner vollen Funktion zu verstehen, um eine Form bauen zu können, die nach innen und außen die unterschiedlichen Anforderungen erfüllt“, erklärt er seine Arbeit.

Als nächster Schritt wird ein Probeschuh hergestellt. Etwa sechs Monate und 70 Arbeitsstunden nach dem Erstkontakt ist das Paar Maßschuhe dann fertig. Zwei Quadratmeter erstklassigen Leders werden dafür schichtweise verwendet, über den Preis möchte Markus Scheer aber nicht sprechen. Nur so viel: „Wir sind sicher nicht teuer, wenn man die vielen Stunden berechnet. Aber wir leben in einer Welt, wo der Preis nicht mehr mit der Qualität in Verbindung gebracht wird.“

Der besondere Qualitätsanspruch sei aber der Grund für den seit über 200 Jahren anhaltenden geschäftlichen Erfolg. „Ein Zitat meines Großvaters lautet: ,Hauptsache, die Schuhe passen‘. Das ist ein Sinnbild für alles, was wir tun. Unser Juwel ist das Wissen um die Schuhe, und solange diese passen, gehen wir davon aus, nicht unterzugehen.“

Aussergewöhnliche Atmosphäre

Die Werkstatt von Scheer, in der 22 Mitarbeiter beschäftigt sind, befindet sich in der ehemaligen Wohnung der Familie in der Bräunerstraße. Wer sie betritt, wähnt sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Es ist eine außergewöhnliche Atmosphäre, die einen hier umfängt. Einerseits der beinahe museale Charakter der Räumlichkeiten – im Besonderen der alten Leistenkammer – mit seinen archaischen Ledergerüchen, anderseits vorwiegend junge Menschen, die ein altes Handwerk ausführen und Maßschuhe, Taschen und Koffer herstellen. Was bedeutet dem Vertreter der siebenten Generation eigentlich Tradition?

„Es besteht immer die Gefahr, dass Tradition ein Rucksack wird, in dem kein Platz mehr ist für Neuentwicklung. Wir aber existieren nur deshalb noch immer, weil sich jede Generation einen Teil dieser Tradition eingepackt, den größeren Teil des Rucksacks aber frei gelassen hat, um eigene Wege zu gehen.

Tradition sollte sich anfühlen wie die warme Hand auf der Schulter, die einem vermittelt: Hab keine Angst, ich stehe hinter dir und fange dich auf, wenn du fällst, aber ich behindere dich nicht im Gehen“, so Markus Scheer.

Wissen und Vertrauen

Dies möchte er auch seinen Mitarbeitern, den Schuhmachern und Taschnern, vermitteln, die allesamt im Haus ausgebildet werden, weil es auf dem freien Markt kein Personal mehr gibt. „In unserer Betriebsgröße sind wir weltweit die letzten Ausbildner. Wir haben jährlich dutzende von Bewerbern, aus denen wir nur ein bis zwei herausfiltern, denn wir brauchen Persönlichkeiten, die sich auf eine Vereinbarung einlassen, die für ein Unternehmen wie unseres wichtig ist – und diese Vereinbarung heißt Vertrauen.“

Denn Scheer stellt bereitwillig stetig gewachsenes Wissen zur Verfügung – und erwartet dafür auch eine gewisse Loyalität. „Anders könnten wir nicht existieren, und das wäre ein großer Kulturverlust.“ Der hoffentlich nicht eintritt, sodass in 200 Jahren die 15. Generation Schuhe nach Maß anfertigen möge.

Dazu der Schuhphilosoph Markus Scheer mit einem breiten Lächeln: „Der Gedanke daran fühlt sich sehr angenehm an.“

INFO
Scheer
1816 gegründet, feierte der Schuster der Kaiser vor vier Jahren 200-jähriges Firmenjubiläum. Wer sich hier einen Maßschuh anfertigen lassen möchte, muss beim ersten Paar mit sechs Monaten Wartezeit rechnen. Und wird dafür lebenslänglich belohnt. Adresse: Bräunerstraße 4–6, 1010 Wien, scheer.at

 

Entdeckungsreise der Scheer Welt

Mi 26.8, Do 27.8, Fr. 28.8

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